Auf dem Voodoo-Weg

Voodoo in Benin von Ann Christine Woehrl

Welt am Sonntag
Auf dem Voodoo-Weg

Fetische, Amulette, Opferrituale: Ein Besuch im westafrikanischen Benin, Heimat der magischen Naturreligion

Der Regen prasselt hinab, so als ob den Göttern eingefallen ist, dass sie den Menschen mal wieder etwas Wasser schicken sollten und mit himmlischem Übermaß das Versäumte nachholen. Die sonst so trockene rote Erde auf den Straßen von Porto Novo schwimmt davon. Der Himmel wird immer dunkler, der Regen noch heftiger.

Die Wolken werden sich jedoch bis zum nächsten Tag wieder verzogen haben, weiß Feliciteé, die Betreiberin der Pension “Da Silva” im Herzen der Hauptstadt der kleinen westafrikanischen Republik Benin. Der hiesige Regenmacher hat nämlich seine Hände im Spiel. Er hat einen guten Draht zu den Göttern und hat dafür gesorgt, dass es in nächster Zeit nur am Wochenende regnen wird. Denn an den Wochentagen müssen die Straßen Porto Novos neu geteert werden. Regen darf da die Arbeiter auf keinen Fall aufhalten.

 

In Benin beeinflussen die Götter, Geister und Ahnen die Geschicke der Gläubigen jeden Tag aufs Neue. Hier liegen die Ursprünge des Voodoo. Über 60 Prozent der mehr als neun Millionen Einwohner des Landes am Golf von Guinea bezeichnen sich heute als Christen oder Muslime. Doch die Mehrheit der Bevölkerung bleibt gleichzeitig ihrer traditionellen Religion treu.

Sie betet zu den unzähligen Göttern des Voodoo und bringt Ahnen- und Naturgeistern Opfer dar. Kleine weiße Flaggen kennzeichnen Schreine und Opferstätten. Schilder am Straßenrand weisen auf die Künste von Orakel-Priestern und Medizinmännern hin. Einmal im Jahr findet am Strand von Ouidah, einer kleinen Stadt etwa hundert Kilometer westlich von Porto Novo, ein großes Voodoo-Festival statt. Im 18. und frühen 19. Jahrhundert, als ein Teil von Benin noch das mächtige Königreich Dahomey war, wurden von hier aus jedes Jahr 20 000 Sklaven auf die Schiffe der europäischen Händler verladen. Die Männer und Frauen mussten alles zurücklassen – bis auf ihren Glauben. Und so gelangte Voodoo in die Karibik, nach Nord- und Südamerika. In Europa wird die Religion bis heute als blutrünstiger, unheimlicher Kult abgetan. Doch von Nägeln durchbohrte Puppen und Zombies sind in Benin nicht zu finden.

“Unsere Religion ist rein. Es geht um Heilung, um Toleranz und um Liebe”, sagt der Oberpriester Daagbo Hounon Tomadjlehoukpon aus Ouidah über Voodoo oder Vodún, wie es in der im Süden Benins verbreiteten Fon-Sprache heißt. Das bedeutet so viel wie Gott oder Geist. Im Gehöft des Priesters laufen Vorbereitungen für eine wichtige Zeremonie. Immer mehr Besucher drängen sich im Hof des Gebäudes. Einige Gäste tragen elegante Kleider und Anzüge aus bunt gemusterten Stoffen. Andere haben nur ein Tuch um ihren Körper gewickelt. Verkäufer drängen sich durch die Menge. Geschickt balancieren sie riesige Schüsseln und Tabletts aus Blech auf ihren Häuptern, beladen mit Getränken und Snacks. Eine Gruppe von Musikern heizt mit ihren immer schneller werdenden Trommelrhythmen die Stimmung an.

Der in einen weiten, weißen Umhang gekleidete und mit sakralen Ketten geschmückte Gastgeber verschwindet gefolgt von weiteren Männern in einem kleinen Tempel. Darin steht eine Fetisch-Figur des Donnergottes Heviosso. Ein Dutzend Frauen wirft sich vor dem Heiligtum zu Boden. Nach ein paar Minuten tritt einer der Männer aus dem Tempel und hält eine tote Ziege über seinen Kopf. Das Blut des Tieres wurde dem Donnergott geopfert. Es spendet der Gottheit jene Energie, die diese benötigt, um den Lebenden ihre Wünsche zu erfüllen und ihre Probleme zu lösen.

Wer die Götter und Ahnen vernachlässigt, dem droht ihr Groll und Missmut. Eine alte Frau greift nach dem Tierkadaver, verbeißt sich darin und tanzt ekstatisch im Kreis. Die Anhängerin Heviossos ist in Trance gefallen. Der Donnergott hat sich ihres Körpers bemächtigt. Andere Gläubige fallen in den wilden Tanz mit ein; die Zeremonie zieht sich bis in die Nacht. Opferrituale wie dieses gehören in Benin zum Alltag, genauso wie das Auftreten der Egungun. Die Mitglieder dieses Geheimbundes verlassen ihre Klöster für wichtige Feiern, etwa wenn jemand verstorben ist. Es sind die Geister der Ahnen, welche die Männer unter den opulent bestickten Kostümen lenken. Die Egungun drehen sich wild im Kreis und steuern zielstrebig auf die umstehende Menge zu. Mit unmenschlichen blechernen Stimmen übermitteln die Besucher aus dem Jenseits Nachrichten und Ratschläge an die Hinterbliebenen.

Ein Assistent mit einer langen Rute achtet darauf, dass die Wesen den Zuschauern nicht zu nahe kommen. Denn eine Berührung bedeutet den sofortigen Tod. Kleine Kinder laufen kreischend vor den Ungetümen davon, Erwachsene springen angsterfüllt zur Seite. Ein Mann reagiert zu langsam und wird von einem Egungun gestreift. Er sackt auf der Stelle in sich zusammen. Mitglieder des Geheimbundes tragen den leblosen Körper in ihr nahe gelegenes Kloster. Man sagt, der Tote wird mit magischen Tränken wieder zum Leben erweckt.

Die Zutaten für solche geheimnisvollen Mischungen, aber auch für die Opfergaben, die Herstellung von schützenden Amuletten, zur Aufhebung eines bösen Zaubers oder für die heilenden Tinkturen der Medizinmänner bekommt man auf einem Fetisch-Markt, etwa dem von Cotonou. Von Ouidah aus gelangt man auf der Route des Pêches in die Wirtschaftsmetropole, eine von Palmen gesäumte Sandpiste entlang des Meeres.

Zwischen den Bäumen haben die Fischer ihre Netze zum Flicken aufgespannt. Riesige hölzerne Pirogen liegen wie gestrandete Wale im Sand. Vom Strand her tönt der Singsang der Männer, die im Takt an einem langen Seil ziehen, um ihren schweren Fang aus dem Wasser zu holen. Doch nicht immer ist es den Fischern erlaubt, ihre Netze auszuwerfen. Denn es gibt Tage, da gehören das Meer und seine Schätze nur den Göttern.

Im Zentrum von Cotonou liegt der Markt von Dantokpa, der sich entlang der Lagune schmiegt. Hier stößt man inmitten von Obst- und Gemüsebergen, Stoffverkäufern und Kohlehändlern auf die Stände der Medizinmänner und Heiler. Der saure Geruch von Tod und Verwesung verdrängt die idyllischen Bilder von Palmen, Strand und Meer aus den Gedanken. Auf den Tischen stapeln sich schrumpelige Fledermäuse, Papageienschnäbel, getrocknete Schlangenhäute und Affenschädel. Ein modisch gekleideter Junge, stellt sich als traditioneller Heiler vor. Doch er kümmert sich nicht nur um die natürlichen und übernatürlichen Krankheiten seiner Kunden, sondern hilft diesen auch in Herzensangelegenheiten. Aus einer dunklen Ecke seines Ladens zieht er eine hölzerne Figur hervor, an der zahlreiche Schlösser hängen. Wer seine Angebetete dazu bringen möchte, die Liebe zu erwidern, muss nur ein weiteres Vorhängeschloss an der magischen Figur anbringen. “Nichts kann die Beziehung dann je wieder zerstören”, erklärt der Verkäufer überzeugt. Äußerungen des Erstaunens und des Unglaubens währt er bloß mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. In Benin sind diese Dinge eben Realität. Der Glaube an die Macht der Götter und Ahnen, an Magie und Zauberei ist ungebrochen.

Von der Autorin und Ann-Christine Woehrl ist soeben das Buch Voodoo: Leben mit Göttern und Heilern in Benin erschienen, Terra Magica, 160 S., 140 Fotos, 39,99 Euro.

 

 



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